Exhibition / 52-Hour-Lab
Thomas Macho
“faire l'âme monstrueuse”
Produktionsstrategien der Angst
in der künstlerischen Avantgarde

Jean-Baptiste Joly
The Artist’s Fear of Her-/Himself

Nikolaus A. Adams
Space Transportation and Dual Use
of Aerospace Technology

Dennis Farber
Fear is Just Another Word
for Someone Left to Please

Christofer Hierold
Carbon Nanotube Sensors

Petros Koumoutsakos
Computing: An Indispensable
Friend or Foe?

Maren Rieger
Dealing with Fear—
Keep Your Distance


Photo Gallery

Thomas Macho
»faire l'âme monstrueuse«
Produktionsstrategien der Angst in der künstlerischen Avantgarde


Mit dem Titel des Festvortrages zitiert Thomas Macho den französischen Dichter Arthur Rimbaud. Es ist ein Exzerpt aus einem der berühmten, 1871 entstandenen Lettres du voyant (Briefe eines Sehenden), die aus heutiger Perspektive – neben den Werken Charles Baudelaires und Stéphane Mallarmés – als Durchbruch der Moderne betrachtet werden können. Durch ihren visionären Charakter zersprengten diese Briefe die gängigen Konventionen von Literatur, Kunst, Leben und Gesellschaft: »Le poète se fait voyant par un long, immense et raisonné dérèglement de tous les sens; toutes les formes d’amour, de souffrance, de folie; il cherche lui-même, il épuise en lui tous les poisons, pour n’en garder que les quintessences« [1] (Der Dichter wird zum Sehenden durch eine lange, ungeheuere und gezielte Entregelung aller Sinne; alle Formen der Liebe, des Leidens, des Wahnsinns. Er selbst sucht, er schöpft in sich alle Gifte aus, um daraus nur die Quintessenzen zu behalten).

Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts, die in Rimbauds Sinne das Leben und die Kunst versöhnen und verschmelzen wollten, sind dieser schmerzhaften Suche nach der ungeheuerlichen Seele gefolgt. So auch Guillaume Apollinaire, der am Anfang des 20. Jahrhunderts feststellt: »Die Künstler sind vor allem Menschen, die inhuman werden wollen. Sie suchen mit aller Kraft nach Spuren des Inhumanen.« [2] Ebenso steht Jean-François Lyotard in dieser Tradition, der Ende der 1980er Jahre den »Zustand eines von einem vertrauten und unbekannten Gast heimgesuchten Geistes« beschreibt, »der diesen erregt, ihn delirieren, aber auch denken läßt.« [3] Alle sind sie Kinder von Rimbauds ungeheuerlicher Seele.

Insofern eröffnet der Festvortrag Thomas Machos nicht nur die aktuelle Diskussion um die Angst des Künstlers vor sich selbst, sondern leitet in idealer Weise zum nächsten Schwerpunktthema über, das die Akademie Schloss Solitude ab Ende 2009 behandeln wird: das Design des Menschlichen und das Design des Inhumanen.

Auszug aus der Einleitung von Jean-Baptiste Joly


[download PDF, 452 kb]


Der Vortragstext wird in erweiteter Gestalt in dem Buch Vorbilder von Thomas Macho im September 2010 im Wilhelm Fink Verlag erscheinen.





[1] Arthur Rimbaud: »Lettre adressée à Paul Démeny (Charleville,15 mai 1871)«, in: Rolland de Renéville, Jules Mouquet (Hrsg.): Oeuvres complètes. Paris 1954, S. 170.

[2] »Avant tout, les artistes sont des hommes qui veulent devenir inhumains. Ils cherchent péniblement les traces de l'inhumanité«, in: Guillaume Apollinaire: »Méditations esthétiques. Les Peintres cubistes« [1913], in: ders.: Oeuvres en prose complètes. Paris 1991, S. 3–52, S. 8 (Übersetzung Jean-Baptiste Joly).

[3] Jean-François Lyotard: Das Inhumane [L’inhumain, 1988]. Wien 2006, S. 12.

 



back to top of page